Dienstag, 16. September 2014

Nachgedacht: Gesundes Krankensystem oder krankes Gesundheitssystem?

Persönlich, Meinung, Rage against the "machine"
Wie Medizin tatsächlich satt macht - aber anders
Bzw warum ich den Zustand satt habe


"Chefarztbehandlung? Da steht eine Woche täglich Chefarztbehandlung in meiner Krankenhausrechnung. Das ich nicht lache! Das zahlt ihr aber nicht! 
Die Chefarztbehandlung sah so tatsächlich aus: Montag kam er mit einem Tross Jungärzte vorbei, schüttelte kurz meine Hand und fragte mich, wie es mir geht. 
Die restlichen Tage der Woche folgte er lieber einer Einladung in ein Golfhotel in Ägypten als nach mir zu sehen. Das hat er selbst noch stolz erzählt...Und das soll mehrere tausend Euro kosten? Neeee...." 
- Kommentar eines Privatpatienten beim Einreichen einer Krankenhausrechnung - 


Und welchen Antrieb hat DEIN Arzt?


Ich kann nicht mehr anders. Ich muss mir jetzt mal Luft machen.


Mehr als 2 Jahre überzeugter Kampf gegen Übergewicht haben irgendwie ziemlich selbstverständlich dafür gesorgt, dass ich immer mal wieder mit Erzählungen zu Arztbesuchen und Behandlungsversuchen in Berührung kam. 
Von Symptomen, die das Übergewicht der Menschen nun mal teilweise mit sich bringt. 

Und - da ich selbst in meinem Leben dankenswerterweise relativ selten krank war - habe ich einen sehr viel intensiveren Einblick in den Zustand unseres Gesundheitssystem bekommen als je zuvor. Was ich sah, gefällt mir nicht.

Und ich habe es satt! 
In diesem Blog gibt es nicht sehr viele Ausrufezeichen, aber das hier, das meine ich richtig ernst: Ich habe es SATT!

Wir haben kein Gesundheitssystem mehr, sondern ein Krank-system. 
Und ein System, das Krankheit erhält, statt zu heilen.

Was für ein Mist läuft hier eigentlich? Das ist unerträglich.

Ein kleiner Auszug von dem, was mich masslos stört:

Krankenkosten
Es ist etwas über 40 Jahre her, da lag der Krankenbeitrag noch bei 8,2%, aktuell sind wir bei 15,5%, das ist fast das Doppelte. Wieso? Sind wir jetzt tatsächlich doppelt so krank?
Und mit welchem Recht kostet eine Packung Tabletten mit gleichem Inhalt bei uns teilweise das 200-fache als anderswo? 2008 haben wir knapp 30 Milliarden für Medikamente ausgegeben. NUR für Medikamente, ohne die Behandlungskosten, wohlgemerkt...


Das hier kostet so viel weil Bla bla bla einfach kostet...
Und weil der Dumme zahlt, ohne zu wissen, wieviel eigentlich...

Ausbildung
Wir bilden Ärzte aus, 6 Jahre lang, Fachärzte dann nochmal 3 Jahre extra. 
Das kostet die Gesellschaft Geld. Und was passiert mit diesen Ärzten? Sie gehen nach Grossbritannien oder in die Schweiz, denn dort kann man ungleich viel mehr Geld verdienen. Bei oftmals besseren Arbeitsbedingungen. Kein Vorwurf meinerseits, wer würde nicht so handeln? Beim Leben und beim Verdienst ist sich ja zunächst jeder selbst der Nächste.
Aber es liegt an uns - wir haben das Umfeld geschaffen, in dem die von uns bezahlt ausgebildeten Ärzte ins Ausland abwandern, während dann aus anderen Ländern die Ärzte zu uns kommen, bei denen wir NULL Einfluss auf die Ausbildungsqualität haben. 

Warum schauen wir da zu?

Abrechnung
Die Patienten haben doch absolut keine Ahnung, was der Arzt abrechnet und was deren Medikamente eigentlich kosten, wenn sie die Krankenkassenkarte am Emfang abgeben. 
Es wäre zumindest nicht auszuschliessen, dass man mit einer harmlosen Erkältung beim Arzt vorstellig wird, und dieser dann -versehentlich- eine wesentlich teurere Behandlung abrechnet. Wieso schliessen wir das nicht aus? Das wäre so einfach!
In meiner kaufmännischen Ausbildung habe ich das Prinzip des Lieferscheines kennengelernt, oder das Aufträge unterschrieben werden, die man erteilt. Ein Zettel mehr, der bei der Abrechnung angehängt werden müsste, ein wertvoller Zettel mit der Unterschrift des Patienten, der sicherstellt, dass er die Behandlung bekommen hat, die da abgerechnet wird.
JA, das müsste dann auf Deutsch da stehen, nicht auf Arztdeutsch bzw Latein, So what? Das ist sowieso ein Problem, zu viele Menschen unter 30 Jahren verstehen ihren Arzt sowieso nicht mehr. An diese Gegebenheiten sollte man sich beizeiten anpassen. Falls einer der Verantwortlichen eine Anregung zur nächsten Überarbeitung der Lehrpläne in der Schule braucht - hier wäre eine!




Wohl dem, der gesund ist und gesund bleibt. Werden wir krank gepflegt?

Eigenverantwortung zulassen
Im Übrigen habe ich in meiner beruflichen Laufbahn dann auch einmal die andere Seite kennengelernt. Die Privatversicherten. Die wissen nämlich, was Behandlung und Medikamente kosten. Und ja, tatsächlich, es gibt dort Menschen, die verantwortungsvoll darauf hinweisen, wenn eine Abrechnung nicht den Tatsachen entspricht. Geben wir uns doch die Chance! Und noch etwas anderes: Wenn man mal sieht, was die Medikamente so kosten, die man zwar noch in der Apotheke abholt, die dann aber unverbraucht im Medizinschrank verrotten, dann regt sich vielleicht doch auch beim einen oder anderen einmal so etwas wie ein Gewissen. Da bin ich sicher.

Bedarfsermittlung
Ein Arztgespräch sieht heute ziemlich anders aus, als früher. Ich habe das so erlebt, dass ein Arzt gehetzt den Behandlungsraum betritt, um dann angestrengt mit der neuen Praxis-Software zu kämpfen. Wenn ich richtig erinnere, hat er mir während der gesamten "Behandlung" nicht ein einziges Mal in die Augen gesehen. Und das ist, was passiert:
Er fragt nach Symptomen. Und dann beginnt das grosse Raten. Nicht beraten. Als erstes wird das probiert, was am wahrscheinlichsten ist, dafür gibt's ein paar Pillen, dann die Aufforderung, wieder zu kommen, wenn es nicht besser wird. Das war's, Arztbesuch nach ca 15 Minuten beendet. Oder auch nicht. Denn wenn die Standards nicht ziehen, beginnt das grosse Hin- und-Her-geschickt-werden. Von Arzt zu Arzt zu Arzt. Bei denen sieht die "Beratung" oder die Bedarfsermittlung auch meistens nicht viel besser aus. 


Es gibt auch die guten... doch - wie häufig?

Weiterbildung
Ich lasse mich gerne korrigieren, aber hier ist meine Wahrnehmung der Tatsachen: 
Wer einmal als Arzt niedergelassen ist, hat keinerlei Verpflichtung zu Weiterbildungen mehr. Er kann in Würde ergrauen, mit all dem alten Wissen, das die Wissenschaft teilweise jedoch mehrfach überholt. Die einzigen, die sich um die Weiterbildung rührend kümmern, sind die Pharmafirmen, die ihre Pillen verkaufen wollen. Das passiert natürlich vollkommen ohne wirtschaftlichen Interessen und rein unter wirtschaftlichen - äh 'tschuldigung, netter Verschreiber - wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Und mir ist zu Ohren gekommen, dass diese Weiterbildungen dann auch gelegentlich dadurch interessant gemacht werden, in dem der Seminarort irgendwo an einem ganz warmen Platz in einem angenehm vornehmen Hotel stattfinden soll. Vor allem dann, wenn sich die Praxis oder das Krankenhaus über den Verkauf eines bestimmten teuren Medikamentes mehrfach ausgezeichnet hat. Natürlich ist das ein wunderbarer Anzeiger, wie interessiert der Arzt an eben diesen Krankheiten ist. Da muss man dann schon mal in Florida oder Ägypten weiter bilden. Ist klar.

Was für ein Gewinn für die Gesellschaft das sein könnte...
Man stelle sich vor, wie viel mehr Zeit und Lebensqualität die Menschen hätten, wenn die Behandlung schneller anschlagen würde, weil man genauer hinsehen würde.
Wie viel sicherer wäre der Arbeitsplatz, wenn wir produktiv sein könnten statt unnötig lange mit Symptomen zu kämpfen, die lieber gehegt als in der Ursache behandelt werden. 


Mögliche Lösungsansätze
Ein paar Dinge habe ich ja oben schon erwähnt, aber ich kritisiere nur ungern Zustände so ganz ohne Lösungsvorschläge oder Denkansätze für eben solche.

Die Gesellschaft bekommt, was sie bezahlt
Wir bezahlen Arztbesuche nach deren Anzahl. Und nach der Krankheit.
Schade. Es wäre sehr interessant zu sehen, wie sich unsere Welt verändern würde, wenn wir eine winzig kleine Veränderung im System einbringen würden. Und entweder statt oder ergänzend nach dem Erfolg der Behandlung entschädigen würden.



Sieht so die Artzpraxis im Jahr 2020 aus?

Was ein Arzt immer fragen sollte. Immer.
Heute wissen wir, dass das Umfeld eines Patienten einen 2x höheren Einfluss auf seine Gesundheit hat, als seine genetischen Anlagen. Dabei ist unberücksichtigt, dass es ja ebenfalls die Lebensumstände das sind, was die Epigenetik selbst beeinflusst.
Auch wissen wir, dass 60% der vermeidbaren Todesfälle allein im Lebensumfeld der Patienten begründet sind. Schon deshalb sollten die Fragen sich immer auch intensiv auf das Lebensumfeld konzentrieren. Unter anderem z.B. auch die Ernährungsgewohnheiten.

Oder krankheitsspezifisch: Wenn jemand Asthma beklagt, dann kann man schon mal eindringlich nach Schimmelbefall fragen. 
Die Trefferquote dürfte sehr hoch sein. 
Und solche kleinen Dinge wären doch sinnvoll als erstes auszuschliessen, noch lange vor teuren MRTs CTs oder schmerzvollen Entnahmen von Nervenwasser, weil jemand dauerhaft über Kopfschmerz klagt.

Weiterbildung zum Pflichtfach
Wir brauchen mehr sinnvolle Weiterbildung. Das sollte verpflichtend werden. Oder von mir aus auch für die richtigen Betroffenen wirtschaftlich interessant. Allerdings glaube ich, das liegt momentan in den vollkommen falschen Händen. Hier muss dringend mehr Unabhängigkeit zu wirtschaftlichen Interessen Dritter geschaffen werden.

Attraktivität steigern

Ich sehe einen dringenden Handlungsbedarf die Attraktivität von Gesundheit statt Krankerhaltung zu erhöhen. Und die Arbeit im Gesundheitssystem mit einer angemessene Entlohnung zu honorieren. Schon um die Menschen bei uns zu halten, die wir teuer ausbilden.

Zum guten Schluss
Ja, es gibt sie. Die engagierten Ärzte, die ihren Beruf ernst nehmen und - was noch viel wichtiger ist - ihre Patienten ernst nehmen. Und ihre Berufung. 
Allerdings sah ich in den letzten beiden Jahren, dass sie augenscheinlich in der Minderheit sind. 

Das ist schade, unerträglich und eigentlich auch nicht hinnehmbar. 

Deshalb werden wir mittelfristig einen Weg suchen und finden, damit unsere Mitglieder diese engagierten Ärzte mindestens leichter finden und weiterempfehlen können.


Es wird Zeit, dass unsere Gesellschaft das wieder in die Hand nimmt. 

Und nicht weiter die Aktien-Gesellschaft.


Bis später.

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