Donnerstag, 18. Juni 2015

Schnutella - Die Nuss-Nougate-Affäre

Genauer hingeschaut
Die NUSS-NOUGATE-AFFÄRE

Wieso sich eine Umweltministerin für die Wahrheit zu entschuldigen hat


Wer ein bisschen besser verstehen will, warum sich Politiker so zaghaft verhalten, wenn es um Wahrheiten oder grosse Konzerne handelt, den dürfte diese Geschichte interessieren, die sich die letzten drei Tage zugetragen hat.







Am Montag abend sitzt die französische Umweltministerin Ségolène Royal in einer Sendung im französischen Fernsehen und sagt in einem Nebensatz, man solle aufhören, Nutella zu essen.

Sie tat dies gar nicht wegen der beträchtlichen Menge Zucker, die in einem Glas Nutella verarbeitet ist. Das sind nebenbei bemerkt auf ein handelsübliches Aktions-Glas mit 880 g der stattliche Gegenwert von immerhin 204(!) Zuckerwürfeln. 
Über die Hälfte, genauer 55,9% sind Zucker. (Angaben von der Herstellerwebseite)

Aber nein, ihr ging es dabei um den zweiten Bestandteil: das Palmöl. 
Sie sprach in der Sendung über Umweltschutz und den Klimawandel, und monierte die rücksichtslose Abholzung der Regenwälder. 
Das passiere derzeit in beträchtlichem Ausmass, unter anderem für Ölpalmplantagen. 

In einem Nebensatz sagte sie dann: 
"Man muss beispielsweise aufhören, Nutella zu essen, denn das ist Palmöl."

Der Moderator meine noch, dass Nutella doch lecker sei, worauf sie antwortete, dass das Palmöl sei, dass dafür Bäume gefallen seien, und man es besser trotz lecker nicht essen solle.

Als ich die Nachricht gelesen hatte dachte ich noch:  
"Wow, die Dame hat Schneid, das gefällt mir...".

Sie war mir schon ein paar Tage zuvor aufgefallen, als sie sogar gegen Monsanto's Roundup ein paar klare Worte in Richtung der Garten- und Baumärkte gesagt hatte und sie gebeten hat, sie sollten das Pflanzenschutzgift aus dem Programm nehmen.


Und jetzt tritt sie dem Flaggschiff des Süsswaren-Herstellers Ferrero in das Palmfettnäpfchen.

Die Zeitungen machten daraus dann auch gleich Titel wie "Aufruf zum Nutella-Boykott".

"Mir soll's recht sein", dachte ich, so lecker das Zeug am Pausentag schmeckt, für die  Standard-Ernährung ist jedes Glas weniger pures Gold fürs Nicht-auf-die-Hüften-Projekt.



Am Dienstag reagierte Ferrero knapp mit einem Statement, das in etwa lautete

"Wir nehmen Umweltbelange ernst, sind eine Reihe Verpflichtungen beim Palmöl eingegangen" und "Der Anbau der Ölpalme kann mit dem Respekt von Umwelt und Bevölkerung einhergehen".


Ich will jetzt nicht spitzfindig oder wortklauberisch sein, aber weil das so ein gutes Beispiel für geschickte PR-Blabla ist, übersetze ich das mal so, wie man es auch verstehen kann - bzw. wie ich es verstehe:

"Weil die Bürger es gerne lesen, ist uns die Umwelt jetzt für den Moment auch ein bisschen wichtig. Wir haben etwas getan, in dem wir uns selbst zu irgendwas verpflichtet haben. 

Was genau, geht Euch nix an, genauso wenig, wie nachhaltig oder wie wirksam das ist. 
Der Anbau der Ölpalme kann mit dem Respekt von Umwelt und Bevölkerung einhergehen, muss aber nicht. Wir sagten ja nur, KANN."

Damit war die Haselnuss für Ferrero auch schon gelutscht. 
Der Fall wäre zu Ende gewesen...
Wäre...


Als ich heute morgen die Google-News "aufgeschlagen" habe, hört sich das dann auf einmal plötzlich ganz anders an:

Royal – "Ich bitte 1000 Mal um Entschuldigung"

Bitte was?! Sie was-st? Wofür?


Wer nachhaltig verstehen will, wie gross das Suchtpotential dieser extrem gelungenen Mischung von Zucker und Fett ist, der muss nur den eindrucksvollen Shitstorm verfolgen, den die Umweltministerin seit gestern auf sich einprasseln sah.

Aber nicht nur die Zucker-Schnutten standen mit virtuellen Mistgabeln, KKKapuzen und Fackeln vor ihrem Fenster - und luden sie zu einem Spaziergang im lauen Abendrot zum nächsten Spontan-Holzstapel ein - neeeeein... 


Das wurde gleich zur Staatsaffäre.
Selbst führende Politiker Italiens zogen eine Schnutella!

Der italienische Umweltministerkollege wies sie in die Schranken, sie solle Italiens Produkte in Ruhe lassen. Die Frau des italienischen Regierungsschefs biss demonstrativ in einen Nutella-Crêpes und schob ihrer Tochter pressewirksam auch gleich einen auf den Papptella. Die italienische Presse schrieb "Mit dem Kreuzzug gegen den Brotaufstrich rette man nicht den Wald" (stimmt, der is ja schon tot) und ein Abgeordneter des italienischen Parlaments nannte Ségolènes Vorstoss sogar "eine hässliche und schwere Entgleisung Frankreichs."



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So, da habt Ihr's. Davor haben die Politiker Angst. 
Wenn das Flaggschiff eines Lebensmittelkonzerns angegriffen wird, dann klickedieklacken ein paar bestens geölte Lobby-Mechanismen bis in die höchsten Staats-Etagen. Die Firma selbst braucht sich kaum äussern, dass tun dann schon andere.

Traurig: Ségolène ist eingeknickt, und hat sich entschuldigt. 1000 Mal, gleich.



Sie entschuldigt sich dafür, dass sie nicht mehr getan hat, als ein Problem anzusprechen, dass haargenau in ihr Aufgabengebiet gehört. 

Es ist eine schwere Entgleisung, wenn eine Umweltministerin über Umwelt spricht. 

Und das, obwohl sie mit Gastgeberin
beim kommenden Klimagipfel in Paris sein wird und ein bisschen Vorbereitung gar nicht schaden würde... 

Und wenn nicht mal die zuständigen Politiker etwas dazu sagen dürfen, ohne dass gleich die Haselbaum-Keule geschwungen wird, dann braucht man sich kaum zu wundern, warum sich nichts bewegt.


So süss die Produkte sind - der Konzern ist es gewiss nicht.

Als das Format "Hart aber fair" eine Themensendung zu Zucker gebracht hatte, war wenige Stunden nach der Liveausstrahlung die Stelle mit einem Nutella-Werbespot bereits bei der Mediathekversion herausgenommen. Der Hersteller habe zum Ausdruck gebracht, dass er diesen Spot dort nicht gezeigt sehen will. Dabei wurde nur gefragt, ob es nötig sein, so ein zuckerlastiges Produkt ausgerechnet von den Sportlern der Nationalmannschaft zu bewerben. Die Sendung ist übrigens heute zwischenzeitlich überhaupt nirgends mehr zu finden. Da wird nicht nur Nöhlman froh darüber sein.

Vor 3 Jahren sollte in Frankreich eine Art Gesundheitssteuer auf Palmöl eingeführt werden. Damals war die Rede von einer Abgabe von 300 Euro auf eine Tonne. Das wären auf ein 800 gr Glas grob runtergerechnet ca. 7 bis 8 Cent gewesen, falls ich mich nicht verrechnet habe. Und still, ganz heimlich still und leise verschwand diese Idee - quasi über Nacht. Rocher... äh - touché.


Und jetzt aktuell entschuldigt sich eben eine Ministerin dafür, dass sie eine Staatsaffäre ausgelöst hat. Et voilà. Quel dommage!


Eine witzige Randnotiz:
Ségolène Royal ist nicht nur Ministerin - sie ist auch die ehemalige Lebensgefährtin des aktuellen Staatspräsidenten Frankreichs, François Hollande. 


Der hat aber offensichtlich wenig Lust, die mächtige schützende Pranke über seine royale Ségolène zu stülpen.  Nicht, wenn es um so schwerwiegende internationale Verwicklungen geht.  Denn beim Zaster hört auch da die Freundschaft auf. 


Die Moral: 
Alte Liebe rostet...doch, und zwar haselbraun - 
und schützt vorm Auffefresse kaum. 
Nicht solange es um die richtig hohen Umsätze geht...



Bis später.



Weiterführende Links:


Artikel Tagesspiegel:   Aufruf zum Nutella-Boykott in Frankreich
Artikel die Welt:           Royal – "Ich bitte 1000 Mal um Entschuldigung"

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Nico, vielen Dank dafür

Bei uns in den Nachrichten hat sogar einer von Greenpeace gesagt, dass Nutella in Ordnung sei und der Konzern darauf achten würde... Da denkt man sich einfach nur mehr WTF :/

http://tvthek.orf.at/program/ZIB-Magazin/5521881/ZIB-Magazin/9964858/Ministerin-ruft-zum-Nutella-Boykott-auf/9991130

Was sagst du dazu?

NICO hat gesagt…

Die Antwort möchte ich gerne in drei Teilen geben:

(1) Meine grundsätzlichen Bedenken in dem Beitrag sind in erster Linie dagegen gerichtet, dass hier ziemlich offensichtlich eine Umweltministerin zum Schweigen verdonnert bzw zum Rückzug bewegt wurde, die sich über Umwelt Sorgen gemacht hat. Das zum Teil mit den Worten wie oben beschrieben "Schwere Entgleisung Frankreichs" und das aus den höchsten Regierungsebenen Italiens. Das stört mich vollkommen unabhängig davon, ob sie jetzt den falschen erwischt hat oder nicht. Denn es ging ja bei den Reaktionen nicht um Nachhaltigkeit, sondern um nationale Interessen, und sie sind monetär begründet. Mit dem Geld-schlägt-Umwelt-Ding ist in den letzten Jahrzehnten so viel kaputt gemacht worden, dass ich dann solche Reaktionen aus der Politik sehr bedenklich empfinde.

(2) In Deinem Filmbeitrag sieht man Bäume kippen. Es ist nicht gesagt, für wen, es ist nicht gesagt, warum. Zu Ferrero heisst es nur - die seien gut dabei, und es seien Unterschriften geleistet. Worunter? Wenn ich stolz sein könnte auf das, was ich unterschrieben habe, dann würde ich das vorlegen, aber sowas von. Warum passiert das nicht? Der andere Punkt ist - die Palmen, die das Palmöl für Nutella erzeugen stehen ja jetzt schon. Wo? Wurden dafür auch Bäume gefällt und Lebensraum vernichtet? Was nützt dann die Unterschrift noch? Die Plantagen stehen schon... Ich habe keine Daten, deshalb kann ich falsch liegen. Aber ich wundere mich sehr, warum weder Ferrero noch Herr Greenpeace konkret werden, was denn genau die "positiven Schritte" sind.

(3) Ich weiss zu wenig über die Palmöl-Plantagen und ob das alles so gut ist. Der Greenpeace-Mann sagt ja nur, es wäre gut, das mit dem Palmöl. Aber warum, sagt er nicht. Schade.
Aber wo ich mich sehr gut auskenne und wo ich definitiv eine massive Kritik an dem Produkt Nutella anbringen würde, wäre definitiv der Zuckergehalt. Deutschland isst im Durchschnitt(!) pro Kopf 1kg Nutella im Jahr, d.h. die bringen knapp 560 Gramm oder 230 Zuckerwürfel unter die Leute, nur mit dem Brotaufstrich. Und auch wenn es auch heute viele Erwachsene sind, die das sehr mögen - sind es vor allem die Kinder.

Eine Hotelpackung Nutella sind 15 Gramm, seien wir ehrlich, es sind sicher mindestens zwei dieser Packungen also 30 Gramm, die auf einem Brot landen.
Das sind dann 16 Gramm also rund 6 Würfelzucker, die mal eben aufs Weissbrot gestrichen werden. Gemäss WHO-Richtlinien für Kinder wäre das die komplette Tagesdosis. Da dürfte kein Zuckerkorn mehr hinzukommen. Aber wie sieht die Realität aus? Anders, nicht wahr?

So gut Nutella schmeckt, und so sehr wie ich auch Verständnis dafür habe, dass man dieses geile braune Fett/Zuckergemisch mit dem Leben verteidigen möchte.

Sein Ruf ist viel besser, als er sein sollte und es wird viel zu sehr verharmlost, was damit auf Dauer geschieht.

Einmal die Woche, ein wenig - und am besten nicht auf einem schlechten Brot - kein Problem, go for it.

Aber das ist nicht, wie es wirklich aussieht, in den haselbraunen Frühstücksküchen...

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