Mittwoch, 15. August 2018

Ist Kokosöl das neue Gift?

KKommentar
Kokosöl ist das reine Gift. Oder?!
Eine Reaktion auf den Fachvortrag Ernährungsmythen von Frau Prof Dr. Dr. Karin Michels


Ernährung ist ein Thema, das immer zieht. Sagt sie.
In einem sehr selbstbewusst und überzeugend vorgetragenen Auftritt, der derzeit in den sozialen Medien die Runde macht leitet uns Frau Professor durch den Irrgarten der Ernährungsmythen.


Eine ganze Reihe von ihren Aussagen zu den Ernährungsmythen würde ich so oder in leicht abgewandelter Form auch sofort mit unterschreiben. 


Ihre Ansichten zum Mikrobiom, gegen verarbeitete Lebensmittel mit endlosen Zutatenlisten, dass sie Nüsse toll findet, die Warnung vor dem Fruktoseanteil im Zucker und die Verbindung zur Fettleber, der wiederholte Fingerzeig auf nicht ungefährliche Pestizid-Rückstände, der Hinweis auf den Umstand, dass die Hälfte der Bevölkerung einen Vitamin-D-Mangel hat, und der Argwohn gegenüber dem Wort "Superfood"...


Alles gute Punkte, die eines Vortrags mit der Überschrift "Prävention für ein gesundes Leben" absolut würdig sind.


Aber dann ist da diese Aussage, die besonders Furore macht und - gemäss der Reaktionen im Netz, und im Publikum dort - wohl eine Menge Leute zweifeln lässt, ob ihr Glas Virgin Coconut Oil (VCO) oder eben einfachdeutsch: Kokosöl denn jetzt in den Abfall gehört oder nicht.

Sie ist davon ja sehr überzeugt, denn sie sagt

"Kokosöl ist eines der schlimmsten Nahrungsmittel, das sie überhaupt zu sich nehmen können"


und weiter

"Kokosöl ist reines Gift"


Ein Raunen geht durchs Publikum.
Auch ich wippe hippelnd auf meinem Stuhl vor der YouTube-Aufzeichnung.
- Wieso denn das jetzt auf einmal?!

Herzinfarktgefahr...
- Aha. Und wie das?


Kokosöl enthalte besonders viele gesättigte Fettsäuren. Deshalb.
- Ah. Das.


Und die AHA (American Heart Association) hat ein Statement herausgegeben, das das bestätigt, was sie schon länger sagt. 
- Oha. Die. Soso.


Während sie bei einigen Ernährungsdingen wie Eier/Cholesterin und Fruktose auf relativ taufrischem Stand zu sein scheint, führt sie uns ausgerechnet bei den Fetten also wieder ganz auf Anfang. Auf den Anfang, der die Fettphobie in die Köpfe und die Lightprodukte in unsere Regale gespült hat. Weia.

Die gesättigten Fette sorgen für einen höheren Cholesterin-Spiegel und somit zu einem höheren Herzinfarkt-Risiko. Das ist das Ancel-Keys-Märchen vom bösen Fett, wiederbelebt. Wie schade.

Ich dachte wie wären endlich weiter in dieser Angelegenheit. Aber nein. Immer noch...

Wenn wir von Daten sprechen, dann haben wir bei uns in den letzten sieben Jahren trotz wiederkehrenden Einsatzes von Kokosöl bei den Blutwerten der Teilnehmer zigfach das Gegenteil gesehen. Sämtliche Marker, die auf ein Herzinfarkt-Risiko hinweisen würden haben sich mit der Ernährungsumstellung überwiegend - und vor allem bei den kkonsequenten - verbessert. 
Wieso das, wenn sie Recht hätte?

Und wieso ist das aktuell noch immer wie Smarties verschriebene Gegenmittel Statine gegen das Cholesterin-Problem denn dermassen unwirksam, dass man 300 Menschen ein Jahr mit Statinen malträtieren muss (NNT=300!!!), um bei einer Person überhaupt den Herzinfarkt zu verhindern, wenn das stimmen würde? Ist das nicht ein ernster Hinweis darauf, dass man die Cholesterin-Lüge jetzt endlich mal ad acta legen sollte, selbst wenn man wie Frau Prof. Michels in Harvard seine Sporen verdient hat?

Ja, aber die AHA. Die haben ein Statement... Ein Statement. Genau. 
Es gibt da ein paar Berichte zu Sponsoren der AHA, die aufmerken lassen und eine unvoreingenommene Einstellung infrage Stellen. Da wären Coca Cola. Und die Soja-Industrie.
Die einen, die vermeiden wollen, dass man auf Zucker als Hauptverursacher schaut. Und die anderen, vielleicht auf der Suche nach neu geschaffenen Absatzmärkten für Soja-Öl? Die Einflussnahme auf solche Organisationen ist immens und in der Vergangenheit hat sich wieder und wieder gezeigt, dass man mit Sponsorengeldern Gefallen wie "Statements" durchaus gerne mal durchwitschen lässt.

Und im Bereich der Ernährung tobt in den USA sehr aktuell ein PR-Kampf, dessen Ausmass so noch nie da war. GMO (Gentechnisch veränderte Organismen) ist toll. Zucker ist harmlos.
Organic (Bio) ist schlecht. Avocado ist schlecht und jetzt - ist Kokosöl schlecht.

Alles wird dort allzuoft übrigens von den selben "Spezialisten" kolportiert, die nebenbei auch Plastik gut reden, den Klimawandel infrage stellen, obwohl wir einen Hitzerekord nach dem anderen verzeichnen und Glyphosat harmlos finden.
In Personal-Union. Die gleichen Leute. Selbstverständlich ohne jede Verbindung zur Industrie. Bis man sie ihnen nachweist. Falls sie in den sozialen Medien überhaupt unter ihrem echten Namen auftreten. Und ihre Follower tragen das dann weiter und entwickeln teils sogar echten Fanatismus dabei. So, wie wir das bei uns auch in Deutschland sehr ähnlich bei Glyphosat erleben.

Es wird nicht lange dauern, bis das auch zu uns herüberschwappt, Teile davon erleben wir ja bereits, und ich fürchte - so richtig Frau Professor Michels bei den anderen Mythen zum Teil liegt - hier ist sie exakt in den Sog dieser Welle geraten, offenbar in Kombination mit ihrem eigenen Vorurteil, denn sie hielt ja nach eigenen Aussagen Kokosfett ja schon immer für schlecht.


Ich gebe Ihr recht: Transfette. Unbesehen. Nicht gut.
Künstlich gehärtet. Böse.

Aber das mit den gesättigten Fetten... Sorry. Nope.
Da waren wir wirklich schon weiter. 


Und was mich extrem verwundert: Über Palmfett, das immer mehr in den stark verarbeiteten Lebensmitteln stattfindet und selbst in sonst industrienahen Institutionen wie der EFSA aus ganz anderen - meiner Meinung nach berechtigten Gründen - seinen Gegner findet - verliert sie kein Wort? Warum?


Nein - alles, was ich in den letzten sieben Jahren sah, deckt sich nicht mit diesem "fetten" Teil des Vortrages, wenngleich ich ihr für die Aufmerksamkeit gratuliere, die sie damit erzeugt hat.

Ich empfehle im Kontrast das Video hier, da unterschreibe ich jedes Wort, das zum Thema Fett gesagt wird.


Ich halte ihre Empfehlung, mit Olivenöl anzubraten auch für gar keine gute Idee, da ist Kokosfett einfach besser geeignet. Kalt und im Salat in vernünftiger Qualität (meist um die 15 Euro der Liter) ist Olivenöl - wenn man auch hier die Pestizid-Rückstände irgendwie meiden kann - eine gute Idee.

Fazit:
Ich sehe also keinen Anlass, unsere Empfehlung pro Kokosöl (VCO) abzuändern, im Gegenteil, unsere Datenlage ist absolut konträr zu dem, was uns die Frau Prof Michels erzählen will. Keinen Grund, das Glas in die Tonne zu werfen, keinen Grund, die Lieferung VCO abzubestellen. Wer Herzinfarktrisiken meiden will kontrolliert seinen Zuckerkonsum und lässt das Rauchen bleiben. Halte ich für wesentlich wirkungsvoller.


Aber was ich gerne noch von ihr sehen möchte ist, wie sie auf die Aussage kommt, dass Fette, die bei Raumtemperatur fest werden sich eher in den Blutbahnen ablagern. Dazu habe ich nämlich überhaupt gar nichts gefunden. Und es deckt sich auch überhaupt nicht mit der mir bekannten Logik, die in der Verstoffwechslung der Fette liegt.

Bis später.




Bonus-Kritik/Ergänzungen zu ihrem Vortrag:
Hier endet erst einmal der Teil mit dem Kokosfett, aber ein paar Mal musste ich während ihres sonst teils wirklich guten Vortrages dennoch zucken...

Kalorien:
Vielleicht sollte sie sich das mit den Kalorien nochmal näher ansehen, die hält sie ja für eine Gewichtsregulierung ebenfalls als das Mass der Dinge. Würde das stimmen, dann würde man bei einer unterkalorischen Versorgung nicht zunehmen können. Das geht aber. Sobald man den Insulin-Spiegel regelmässig zu den Mahlzeiten in die Höhe treibt.

Fischöl:
Ich würde mich mit einer Empfehlung für Fischöl bei den aktuellen Herstellungspraktiken nicht aus dem Fenster lehnen, während man Ethoxyquin als Pflanzenschutzmittel aus gutem Grund vom Markt genommen hat, landet es über Fischprodukte und als Öl ziemlich sicher in konzentrierter Form wieder in unseren Körpern, weil es ja als Konservierungsmittel für Tierfutter und Brandschutzmittel für den Transport auf See achso gut geeignet ist. Diese Empfehlung kann meiner Meinung nach tatsächlich ein Schuss nach hinten werden.


HFCS - High Fructose Corn Sirup
Sie verdammt diesen Stoff vollkommen zurecht, auch die Hinweise auf Fruktose und Fettleber halte ich für zutreffend. Allerdings zeigt sich hier ihre Nähe zur USA - denn in der EU war HFCS lange Zeit durch eine Einfuhrbeschränkung auf 3% der Zuckerproduktion reduziert. Gleichwohl gab es auch dort schon Vorkommen von Fettleber bei Jugendlichen. Diese Beschränkung ist erst kürzlich gefallen, weshalb sich diese Entwicklung sehr wahrscheinlich beschleunigen wird. Dass die Fettleber vorher schon da war, sollte man als klare Warnung sehen, dass der allgemein hohe Zuckerkonsum und die von ihr erwähnte Hälfte Fruktose im gewöhnlichen Haushalts-/Industriezucker und Honig bereits ausreicht für den Schaden. HFCS ist übrigens - weil im Gerede bei uns auf den Zutatenlisten so nicht zu finden, das heisst Isoglukose oder einfach nur Glukose-Fruktose-Sirup oder Fruktose-Glukose-Sirup, je nachdem, was überwiegt. Nebenbei freue ich mich übrigens auf den Tag, wo jemand mal auf die Idee kommt zu hinterfragen, wieviel von dem Genmais über diesen Umweg jetzt trotz Verbot desselben jetzt in unsere Lebensmittel und Getränke Einzug hält. Nebst den dazugehörigen Pestizid-Rückständen, versteht sich.


Vitamin-D-Mangel
Sehr gut, dass sie das anspricht, das passiert mir noch viel zu wenig.
Erstaunlich die Zahl, dass die Hälfte der Bevölkerung betroffen ist. Erstaunlich auch, dass sie die Sonne für das Heilmittel hält. Denn in etwa die gleiche Zahl der Menschen leidet sowohl in Italien und Spanien am Vitamin-D-Mangel. Wieso, Frau Professor? Hier meine Sichtweise


Glutenfreie Ernährung
Zitat: "Aber es geht mir doch so gut, das höre ich immer wieder".
Ja, das höre ich auch immer wieder. Wäre es nicht einmal hinterfragenswert, warum das wohl stimmt? Hinweis: Es ist nicht das Gluten, dessen Meidung den Unterschied macht.

Vita
Ich möchte ein paar meiner Leser - die sich sofort angesprochen fühlen werden - auf die in der Vita genannten Veröffentlichungen/Studien hinweisen, die ihren Namen tragen. Das nur als Ergänzung.
Ihr wisst, was ich meine - wer nicht, nicht schlimm. 


Mikrobiom
100% korrekt - und ein sehr spannendes ergänzendes Video fürs Fachpublikum vom gleichen Kanal wie ihr Video - meine Empfehlung

Schluss für heut.