Sonntag, 17. März 2019

Warum Reuters nicht mehr Reuters ist

Meinung
Warum Reuters nicht mehr Reuters ist
... und was das mit Monsanto zu tun hat


Wisst Ihr, wer oder was Reuters ist?
Wenn es nicht sofort klingelt, überlegt einmal kurz...
Tipp: Nachrichten.



Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass so ziemlich jeder, der irgendwo Nachrichten liest oder anders konsumiert, den Namen Reuters kennt.

Was sind Agenturmeldungen?

Denn Reuters ist eine Nachrichtenagentur.
Nachrichten- und Presseagenturen sind Unternehmen, die Nachrichten über aktuelle Ereignisse sammeln, in vorgefertigte Meldungen umwandeln und als Texte, Videos oder Bilder den Massenmedien anbieten.

Viele dieser Artikel landen dann auf Nachrichtenplattformen wie z.B. Spiegel online oder eben auch direkt ins Fernsehen in Sendungen wie heute oder die Tagesschau.

Vor der Veröffentlichung werden sie entweder redaktionell von einem Journalisten überarbeitet, der die Meldung ganz oder teilweise in neue Worte gekleidet oder ab und zu sogar 1:1 genau so übernommen, wie sie reinkommen.

Wie erkenne ich diese?

Erkennen kann man diese Agenturmeldungen durch die direkte Kennzeichnung am Anfang eines Beitrags, wie (Reuters), und bei einigen Seiten wie Spiegel online hat sich anscheinend eingebürgert, dass man die Agenturmeldungen daran erkennt, dass man nur das Namenskürzel des Redakteurs unterhalb des Artikels findet, gelegentlich ist auch die Agentur mit genannt. 
Im Gegenzug dazu ist es beim Spiegel so, dass ein wirklich selbst recherchierter und selbst geschriebener Artikel dort dann ÜBER dem Artikel den Autor mit vollem Namen beschreibt.

Wieso sehe ich ein Problem mit diesem System?

Jetzt muss man dieses System tatsächlich einmal in die Tiefe durchdenken!

Eigentlich ist das eine ziemliche Machtbündelung. Denn gibt man in diese Medienmaschine oben eine Nachricht rein, so wird sie in extrem schneller Frequenz - und leider oftmals ohne weitere Prüfung - von all den daran hängenden Medienhäusern vervielfältigt.


Entwarnung?

Wie gut, dass Reuters eine deutsche Nachrichtenagentur ist, unabhängig, frei und unbeeinflusst, der Goldstandard des Journalismus, mit hohem ethischen Standard, nicht wahr?!

Jaaa. Tja. Das war mal so. Mir ist das untergegangen, vielleicht auch vielen von Euch. Reuters ist nicht mehr Reuters. Reuters ist (übrigens schon seit 2008!) Thomson Reuters und gehört jetzt einem sehr reichen Mann, nämlich David Thomson. 
Thomson ist sogar so reich, dass er aktuell auf der Forbes-Weltrangliste der reichsten Personen Platz 20 (nochmal: in der Welt!) belegt.

Reuters in der Selbstwahrnehmung


Spätestens seit einer der letzten Sendungen "Die Anstalt" im ZDF, die die Bündelung der deutschen Medien und die Einflussnahme der Leitung auf die Inhalte aufgezeigt hat wissen wir, dass das schon in diesem verhältnismässig kleinen Rahmen problematisch ist.

Aber jetzt stellt Euch das mal im richtig grossen Rahmen vor...


Das Problem an einem Fallbeispiel erklärt.

Nehmen wir mal an, Thomson würde in die Agro-Industrie investieren. 
Rein hypothetisch, natürlich. 

Nehmen wir mal an, er besässe - rein hypothetisch - eine Firma, die über Satelliten dem Landwirt sagen würde, wie sein Feld aussieht, und wo er neben einigen anderen datengestützten Entscheidungen - auf wenige Zentimeter genau steuern kann, wo er seine Pestizide und seinen Kunstdünger ausbringen soll.

Und jetzt nehmen wir mal an, dass einer seiner 45.700 Mitarbeiter in seiner Nachrichten-Agentur etwas Schlechtes gegen die Agro-Industrie schreiben würde.
Was schätzt Ihr: Wie lange genau hätte er wohl noch seinen Job?

Oder anders herum: Stellen wir uns mal vor - in den Nachrichten würde sich die Meldung durchsetzen, dass etwas mit einem der Pestizide nicht in Ordnung ist. Wie einfach hätte er es, die öffentliche Wahrnehmung in einer andere Richtung zu lenken, wenn er auch nur einem der 45.700 Mitarbeiter den Auftrag erteilt, eine Gegendarstellung zu schreiben, die dann wieder in Windeseile von allen Massenmedien weltweit verteilt werden.

Ihr versteht das sehr grundsätzliche Problem?

Das ist natürlich nur reeeeeein hypothetisch. 

Auch wenn ich mich bereits mehrfach über Glyphosat verharmlosende Artikel gewundert habe, die ihren Ursprung bei Reuters genommen haben.
Aber klar. Alles. Reiner. Zufall.

Tatsächlich?!

Nun, tatsächlich heisst die hypothetische Firma Farmers Edge, und Thomson ist über seine Firma Osmington Inc. einer der Hauptinvestoren. Die Zielsetzung der Firma ist nach eigener Darstellung über Digital Farming "der gesamten industriellen Agrikultur, inklusive der Saatgutfirmen, der Düngerproduzenten bis hin zum Grosshandel hilfreich zur Seite zu stehen."  Thomson/Osmington hat offenbar im Mai 2016 sogar nochmal die Investition aufgestockt.

Die Pestizide und Glyphosat könnt Ihr Euch direkt hinzudenken, denn zwischenzeitlich ist ja - z.B. beim Soja der Markteinteil von genetisch verändertem Saatgut, das resistent auf Glyphosat ist irgendwo über 90% des Weltmarktes. Der Einsatz also nur eine logische Folge daraus.

Auf der Farmes Edge Webseite finden sich auch dezente Hinweise in den Grafiken, unter "Treatment" ist recht sicher nicht totstreicheln von Unkraut und Schädlingen gemeint.


Networking: Monsanto-Mitarbeiter in Schlüsselpositionen

Es mag vielleicht die besondere Expertise sein, die dafür gesorgt hat, dass man mit Lucas Trindade, einer ehemaligen Monsanto-Führungskraft dann auch gleich das gesamte Brasilien-Geschäft unterstellt hat. Natürlich. Die Leute kennen sich ja aus, mit GMO-Saatgut und allem, was man so an Giften drübersprühen kann.


Auch räumlich recht kuschelig

Es ist mir in diesem Zusammenhang auch noch etwas anderes aufgefallen.
Das Monsanto-Hauptquartier ist in einem Ort namens Creve Coeur, einer Gemeinde mit nicht ganz 20.000 Einwohnern. Und wenn man auf der Wikipedia-Seite des Ortes einmal ein klein bisschen genauer hinschaut, dann sieht man einen Punkt unter Wirtschaft (Economy), der da lautet "Die Top 10 Arbeitgeber" (Top ten employers). Und siehe da.
Da ist Monsanto ja auch schon. Auf Platz 2.

Aber wen finden wir denn da auf Platz 3? OHA!

Wie praktisch es doch wäre, wenn man sich irgendwo in der Mitte des Ortes treffen könnte, um im gemütlichen Plausch die neuesten Nachrichten zur Sicherheit von Glyphosat und die böse Welt da draussen, die Monsanto in allem was sie tun missversteht - gemeinsam beleuchtet, und dieses Bild dann über Agenturmeldungen geraderückt. 
Der Ort ist zu klein, als dass man sich nicht "über den Weg läuft".


Es ist jetzt anders und das müssen wir verstehen.

Ich interpretiere:
- Reuters, der Goldstandard des Journalismus. Das war mal. 

- Unabhängig, frei und unbeeinflusst. Vorbei.

- Hoher ethischer Standard.
Spätestens seit den Fakeartikeln von Kate Kelland (kommen wir gleich noch drauf!), die sich lasen, als seien sie direkt aus einer Monsanto-Werbebroschüre abgeschrieben: Geschichte.



Sage ich damit jetzt, dass jede Meldung von Reuters falsch ist?
NEIN!

Ganz sicher gibt es viele Meldungen von (Thomson!) Reuters, die journalistisch sorgfältig erarbeitet sind, und ebenfalls sicher gibt es dort Mitarbeiter, die ihre Arbeit zum besten Standard erledigen, den man sich wünschen kann (wenn sie nicht gerade von lachenden US-Hubschrauber-Piloten in Stücke geschossen werden).

Ich sage vielmehr: Vorsicht! 

Reuters ist nicht mehr das Reuters, auf das sich einst die ganze (Nachrichten)welt verlassen hat und man zu 100% wusste: Was da kommt ist nach allen journalistischen Standards gegengeprüft und sind somit verlässliche Nachrichten.

Reuters ist jetzt das Nachrichtenorgan eines einzelnen reichen Geschäftsmannes, der so viel Geld besitzt, dass er damit - und in Kombination seiner Medienmacht - alles zur Nachricht machen kann, was seinen eigenen geschäftlichen Vorhaben zuträglich ist.

Und alle Massenmedien werden das bereitwillig verteilen.


Merkwürdige zeitliche Übereinstimmungen

Und - wir werden uns darauf verlassen können wie ein Uhrwerk, dass zu bestimmten Ereignissen immer dann Breaking-Verharmlosungs-News pünktlich von Reuters lanciert werden, wenn es um Glyphosat gerade schlecht steht.

Das war beim ersten Prozess so, vor ein paar Tagen beim zweiten, und immer wieder in entscheidenden Phasen während der Wiederzulassung des Totalherbizids in der EU.

Der Fall Kelland - ein Skandal, der zu wenig Beachtung fand

Aber ganz besonders war es der Fall, als Kate Kelland von Reuters im Rahmen der Diskreditierungskampagne der Krebsforschungsagentur IARC 2 Artikel schrieb, von denen wir heute aus den Monsanto Papers gesichert wissen, dass sie die von Monsanto ins Blatt diktiert bekam.

Um die Auswirkungen der Story deutlich zu machen: Diese Artikel schlugen derart Wellen und waren derart wirksam gegen den Ruf der WHO/IARC, dass es Anhörungen im Repräsentantenhaus gab, und die USA ernsthaft in Erwägung zogen, der IARC die Gelder streichen zu lassen. [1] [2] [3]

Die Dame erhielt sogar einen Preis(!) für diese Ungeheuerlichkeit.


Auf Anfrage von LeMonde, ob dieser Artikel zurückgezogen werde, nachdem die Hintergründe mit handfesten Dokumenten aufgearbeitet wurde - antwortete Reuters:

[Zitat: Übersetzt]

"Reuters ist überzeugt, dass der Artikel eine vollständige, faire und genaue Darstellung der Fakten darstellt, auch bei der Zuordnung der zitierten Rechtsdokumente."


Und ich stelle mir die Frage:
Wäre dieser Artikel immer noch online, wenn diese Nachrichtenagentur 
nicht Herrn Agrar-Investor Thomson gehörte?


Seht Ihr. Jetzt versteht Ihr mein Problem.

Wenn also eine Nachricht von Reuters kommt, ganz gleich ob direkt oder in anderen Blättern/Medien als Urquelle ausgewiesen ist:

Schaut genauer hin!


Bis später.

Weiterführende Links:

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