Freitag, 23. Oktober 2015

Sieht Unschuld tatsächlich so aus? Nachdenkliches über Obst-ge-safte.


KK-Wissen
WIE UNSCHULDIG IST INNOCENT?
Smoothies - oder wieso auch Gemüse-Esser unerwartet schwer werden können.


Da sitze ich gestern an einer Infografik und warte nebenher im TV auf die Nachrichten, als ein Werbespot über den Schirm flimmert. 

Einer dieser hippen, flinken Spots von Innocent, dem Smoothie-Spezialisten mit dem unschuldigen Image von reinen Zutaten. 
Die kleinen Fläschchen, mit dem eingebauten Heiligenschein. 

Sie haben ein neues Produkt: Antioxidant.
Super Smoothie. Mit Obst, Gemüse, Weizengras und Leinsamen.
Ich habe so eine Ahnung, an welche Zielgruppe das gerichtet ist, und werde neugierig...





< Flashback. < 
Zu der Zeit, als ich noch vollkommen naiv in den MäcBörger biss, hatte ich mich einmal gewundert, wieso jemand vegan oder vegetarisch leben kann, und trotzdem... sagen wir... recht propper daher kommen kann. Ich meine - Tofu, Gemüse... Wo ist denn da das Fett?!

Ich hatte dann irgendwann in den vergangenen drei Jahren meines Selbststudiums mehr oder weniger nebenbei eine Antwort auf diese Frage gefunden. Aber noch nie war etwas so deutlich, dass ich es als Denkanstoss weitergeben könnte, wie im heutigen Fall.


> Flashforward. >
Fast schon in traumwandlerischer Gewohnheit surfte ich nach dem Spot auf die Herstellerseite auf der Suche nach der Zutatenliste und Nährstoffangabe. 
Na klar. Wusst ich's doch. Genau...

Kiwi, Limette, Weizengras, Leinsamen, Vitamin C, Vitamin E und Selen. 
Das klingt aber sowas von "grün", "gesund"  und "Bio"... 
Ich wette, dass die hippen "Auf-Sich-Aufpasser" morgen loslaufen, um sich das testweise hinter die Binde zu kippen. 
Diesen möchte ich diesen Artikel widmen, und den altgedienten Ernährungsberatern, die ihren Klienten noch immer das Märchen vom gesunden Smoothie antun gleich mit.


Aber der Reihe nach:

Als erstes Mal zu den Zutaten, die man wohl mehr für das Extra-Super-Bio-Unschulds-Feeling hinzugefügt hat: Gurken, Leinsamen und Weizengras.

Sorry, aber das ist eine Lachnummer. Gurkensaft hat einen Anteil von 2%, die zerriebenen Leinsamen strotzen mit 0,6% im Fläschchen und das zerriebene Weizengras - ist vermutlich nur unterm Mikroskop zu finden, weil 0,02%. 

Die übliche Krux mit dem Unterschied von werbeträchtigen Aufdrucken, der geweckten Erwartung und was dann tatsächlich in den Produkten stattfindet. Nun ja.


Als zweites mal kurz ein Blick auf die letztgenannten Zutaten - Vitamin C, E und Selen.

Während wir fest davon ausgehen können, dass in unseren Breitengraden ein normalsterblicher Bürger kaum eine Unterversorgung an Vitamin C haben dürfte, 
ist Vitamin E fettlöslich. Ich bezweifle jetzt einfach mal, dass der Fettanteil dieses Produkts ausreicht, dass der Körper das Vitamin überhaupt in nennenswerter Menge aufnehmen kann, bin aber sehr offen für einen gegenteiligen Nachweis. 
Auf jeden Fall wird das gemäss Auskunft auf der Seite dem Getränk künstlich (bzw. "extra" hinzugefügt. In dem Fall hat sich das wohl mit dem "ohne Zusätze", wie dort überall steht und in den Spots pauschal glauben gemacht wird, oder?


Bei Selen ist das so eine Sache. 

Das hat man hinzugefügt, weil es die Zellen vor oxidativem Stress bewahren soll. 
Hierzu berichtet Wikipedia


"In unseren Breiten können in der Regel nur Frühgeborene, parenteral ernährte Patienten und Alkoholkranke einen Selenmangel entwickeln." 
Aha. Weder ein Frühchen, noch ein Alkoholkranker wird jetzt typischerweise nach diesem Produkt greifen, und auch ein künstlich Ernährter hat sicher andere Sorgen.


Aber weiter auf Wikipedia:

"In einer kritischen Bewertung [..] wird festgestellt, dass die bislang verfügbaren Studien keine Hinweise für einen Nutzen einer zusätzlichen Gabe von Selen in irgendeinem Zusammenhang erbringen konnten. Zwar scheint eine positive Beeinflussung verschiedener Krebsarten möglich, andererseits die Begünstigung anderer Karzinome nicht unwahrscheinlich. Die „SELECT“-Studie („Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial“) sollte diesbezüglich Auskunft geben und 2013 abgeschlossen werden. Allerdings wurde diese im Oktober 2008 abgebrochen, da während der Studie nachgewiesen werden konnte, dass es keine verbesserte Schutzwirkung im Vergleich zum Placebo gibt und ein Nutzen ausgeschlossen werden konnte. In dieser Studie wurde zwar sogar eine erhöhte Prostatakrebshäufigkeit unter der Gabe von Vitamin E und eine erhöhte Diabetesentstehung unter der Selengabe festgestellt[...]"


Na das ist doch mal ein Wort...


Lediglich bei Schilddrüsen-Erkrankungen wie Hashimoto ist eine zusätzliche Selen-Einnahme sinnvoll, schreiben sie dort weiter. 
Allerdings - nach ärztlicher Abklärung! 
Feine Sache - dann gibt es den Supersmoothie bald schon auf Rezept? Ick froi mir schon...


Aber halt! 
Bevor jetzt jemand auf die Idee kommt, dieses flüssige Schilddrüsen-Schutz-Präparat vorbeugend zu einzunehmen... Ich hab da noch ein kleines, nicht ganz unwichtiges Detail...
Das wird seltsamerweise nirgends grossartig erwähnt, dabei halte ich es für nicht ganz unwichtig.


Der Zuckergehalt:

In einer Flasche á 360ml befinden sich sage und schreibe 43 Gramm Zucker, 
das ist der Gegenwert von 18 Stückchen Würfelzucker. 

Das klingt jetzt vielleicht erst mal noch nicht viel, aber für einen anschaulichen Vergleich auf einen Liter hochgerechnet kommt Coca Cola pro Liter gerundet auf 44 Zuckerwürfel, während der Supersmooxidant mit satten 50(!!) Zuckerwürfel zu Buche schlägt. 

Richtig gelesen!
In diesem "unschuldigen" Produkt steckt mehr Zucker drin als in Coca Cola. 

Jetzt mögen einige neuere Leser womöglich denken: 
"Ja, aber das ist ja natürlicher Zucker..."
Sorry. Falle! Stimmt nicht! 
Dem Körper ist es vollkommen egal, ob das aus Obst oder Zuckerrohr oder Zuckerrüben ist... Zucker ist Zucker. 
Eher sogar Im Gegenteil: Fruchtzucker ist viel problematischer, vor allem dann, wenn er wie in diesem Fall flüssig daher kommt.

Genau genommen dürfte diese Menge die Leber sogar beträchtlich belasten.
Was dann aber wieder die Alkoholkranken disqualifiziert, die ihren Selenmangel wie oben beschrieben so dringend decken müssen. Hach, man hat's nicht leicht...


Aber falls die Kombi von Vitamin E und Selen nicht für Diabetes sorgt...

Diese Zuckermenge tut das. Man muss sie nur regelmässig genug zu sich nehmen.


Aus purer Neugierde habe ich dann noch die anderen Supersmoothies angeschaut, die da klangvoll Defence und Energise genannt werden. Sie kommen auf je 40 Gramm die Flasche, drei Gramm weniger, dass macht dann den Kohl - genauso fett.

Und dann habe ich weiter geklickt und weiter geklickt und eine Exceltabelle gebaut, 
weil ich es dann einfach mal genauer wissen wollte.


Die Unschuld oder auch Innozenz hat da schon ein recht bemerkenswertes Portfolio beieinander. 

Sie haben relativ eigenwillige Verpackungsgrösse und die sind nun wirklich nicht gewaltig - eher unter der typischen Norm  (siehe unter "Füllmenge" auf der Grafik). 

Und trotzdem bleibt kein einziges Produkt mit Flasche oder Trinkkarton im Rahmen der maximal empfohlenen Tagesobergrenze der WHO für Kinder und Jugendliche, im Gegenteil, diese liegt bei einem der Produkte sogar beim rund 8fachen!!! von dem, was ein Kind aufnehmen sollte. Und da sind die anderen Zuckerkunststücke des Tages ja noch gar nicht berücksichtigt, die das Kind an diesem Tag womöglich sonst noch so drauf hat...

Aber seht selbst... 



Die einzigen Zahlen im "grünen" Bereich sind gemäss meinen Berechnungen die Kinderprodukte, wenn sie die Erwachsenen trinken.
Aber das liegt weniger an einem geringeren Zuckerzusatz, 
sondern an einer kleineren Portionsgrösse. 

Und ich würde fast wetten, dass die putzigen Kartons nicht bei den Erwachsenen landen, sondern tatsächlich für die Zielgruppe der "Gewöhnt-sie-doch-schon-mal-dran"-Kinder - äh Kunden reserviert bleiben.

Trifft das zu, dann kann man sagen: Wer einen (gar nicht so) "unschuldigen" Smoothie leer trinkt, knackt die Tagesobergrenze so gut wie sicher mit schon einer einzelnen Packung - und das teilweise um ein Vielfaches.


Und das ist der Punkt. 
Denn es ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr ein Produkt, das aufgrund seiner Zutaten als grün, bio und gesund propagiert wird, und mit den (leider zu oft falschen) Erwartungen der Konsumenten spielt. 
Ich kann nur allen Veganern und Vegetariern, die das noch nicht tun - dringend anraten, von diesen im Fernsehen beworbenen Hochglanz-Produkten Abstand zu nehmen und auch in diesem Bereich sehr, sehr genau hinzusehen. Und unseren Mitgliedern sowieso.

Es ist nicht alles unschuldig, was aus der Fabrik kommt, ganz egal, was sie drauf schreiben.


Schliesslich möchte ich sie gerne ernst nehmen, wenn sie auf ihrer Webseite über ihren Superschmuhsie schreiben:
"Dieser Smoothie ist eine Quelle von Vitamin C, E und Selen, welche dazu beitragen, die Zellen vor oxidativem Stress zu schützen. Als Teil einer gesunden Lebensweise und einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Ernährung zu genießen. Man könnte es auch einfacher sagen: Iss Dein Gemüse und geh ab und zu joggen."

Genau. Iss Dein Gemüse. Geh joggen - wenn Du eine gesunde Lebensweise und eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung vorziehst. 
Aber lass diese Zuckerbomben vielleicht lieber im Regal.

Und noch etwas zum guten Schluss:
Auf ihrer Webseite werben sie für den lovestorm, weil shitstorm jeder könne.
Den lovestorm finde ich ne gute Idee, kann man nicht genug von haben.


Aber wenn ich daran denke, dass eines Tages einmal nachgewiesen ist, dass unsere steigenden Diabeteszahlen zu einem enormen Prozentsatz aus vermeintlich gesunden Süssgetränken kommt... bei dem Shitstorm möchte ich nicht im Zentrum des Interesses stehen. Hoffentlich reicht das bisschen Liebe da dann vorab... Ich wünsche es ihnen.

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