Sonntag, 30. September 2018

Faktencheck: Johnson vs Monsanto oder auch 289,2 Mio zu 0

Faktencheck
DIE FAKTEN UND WAHRHEITEN 
ÜBER DEN JOHNSON-PROZESS
- Recherche als Kontrapunkt -


Am 10. August 2018 bekam ein Mann mit seinem Anwaltsteam von einem Geschworenen-Gericht die Rekordsumme von 289.200.000 US-Dollar gegen Monsanto zugesprochen: Dewayne Lee Johnson. 




Dieses Urteil gilt als richtungsweisend für derzeit (letzter Stand) 8.900 weitere ähnlich gelagerte Fälle in den USA.

Auffällig, wenngleich wenig verwunderlich ist, dass gewisse Kräfte alles in ihrer Macht stehende tun, um dieses Ergebnis so gut es eben geht herunterzuspielen. Begonnen hatte das ja schon an dem Tag, an dem das Ergebnis öffentlich wurde. 


Da sagte ein CDU-Mann, man solle die Kirche im Dorf lassen, das habe ja ein "Schnellgericht" entschieden. Julia Merlot vom Spiegel spricht von einem Urteil, das von "Laienrichtern" gefällt wurde. 

Ein paar der wiederkehrenden Behauptungen möchte ich daher einmal einem Faktencheck unterziehen und ich habe weitere Infos zusammengetragen, damit man mal ein Gefühl bekommt, von welcher Grössenordnung man bei dem Verfahren spricht.
Und was die Jury möglicherweise bewegt hat, dieses Urteil zu sprechen.


Behauptung
     "Der Prozess wurde von Laien in einem Schnellgericht entschieden."    

Die Tatsachen:
Das amerikanische Gerichtswesen unterscheidet sich in vielen Dingen von unserem.
So werden manche Dinge nicht nur von einem Richter, sondern auch von einer Jury aus Geschworenen bestimmt. 
Die Jury im Johnson-Fall bestand aus 8 Männern und 4 Frauen. 

Diese wurden in einem relativ langwierigen Verfahren ausgewählt, bevor die endgültigen 12 Personen gefunden waren, wurden sogar 35 seitens Verteidigung, Anklage und der Richterin abgelehnt und nach Hause geschickt. 

Die endgültige Jury wurde also von beiden Seiten akzeptiert.

Es handelte sich um eine recht hochkarätige Jury aus Juroren, von denen einige eine wissenschaftliche Ausbildung hatten. Alle waren/sind in einem anspruchsvollen Beruf tätig.  


Wie sowohl die Parteien als auch das Gericht eingeräumt haben, war die Jury während des langen Prozesses sehr engagiert und aufmerksam, stellte interessante, komplexe Fragen und zeigte die Bereitschaft, während des Auswahlverfahrens unparteiisch zu sein.  

Der Prozess dauerte mehr als einen Monat, man prüfte über hundert Beweisstücke, hörte über viele Stunden Expertenaussagen an und beendete ihn nach drei Tagen intensiver Beratung durch die Jury mit einem einstimmigen Urteil.  

Von einem "Schnell"gericht kann hier also keine Rede sein. 
Richtig ist jedoch, dass es sich um einen beschleunigten Prozess handelt, da Herr Johnson an einem Non-Hodgkin-Lymphom stirbt. In Kalifornien haben todkranke Kläger Anspruch auf einen beschleunigten Prozess, um die Wahrung von Rechten zu gewährleisten, die bei Tod erlöschen. 

Diesen Umstand jedoch als "Schnellgericht" abzuwerten ist geschmacklos und spottet von einem moralischen Standpunkt jeder Beschreibung.    


Wann startete der Prozess?
Herr Johnson reichte seine Klage gegen Monsanto Co. im Januar 2016 ein. 


Vorlauf - Eigentümlichkeiten des amerikanischen Gerichtssystems
Bevor sein Fall überhaupt von einer Jury entschieden werden konnte, musste ein Richter des California State Court entscheiden, ob die Ansichten der Experten von Herrn Johnson zulässig und ausreichend waren, um von einer Jury gehört zu werden. 

Hätte der Richter die Experten von Herrn Johnson abgelehnt, hätte Johnson keine Beweise über die medizinischen Ursachen vorlegen können. 

Der Richter musste auch ganz grundsätzlich entscheiden, ob Herr Johnson genügend Beweislast zusammengetragen hatte, aus der eine Jury schließen konnte, dass Monsanto in der Frage arglistig oder betrügerisch gehandelt hatte, oder Tatsachen so vertuscht und unterdrückt hatte, dass sogar ein sogenannter Strafschadenersatz /Punitive Damages gerechtfertigt wäre. [Definition: Was sind "punitive damages"?]


Die Vorverhandlungen überstanden
Am 17. Mai 2018 erließ Richter Curtis E.A. Karnow nach den Vorverhandlungen dann eine Anordnung, die es der Anklage erlaubte, die wissenschaftlichen Beweise im Zusammenhang mit der Ursache von Herrn Johnsons Krebs ebenso durch Geschworene prüfen zu lassen, wie auch die Behauptungen, dass Monsanto wissentlich Beweise für diesen Umstand unterdrückt hat, dass die Exposition durch Roundup ein Non-Hodgkin-Lymphom verursachen kann. 

Richter Karnow entschied, dass auch die meisten Ausführungen der Experten von Herrn Johnson zulässig und ausreichend waren, um sowohl allgemeine als auch spezifische Ursachen zu belegen. Daher wurde Monsantos Antrag abgelehnt, den Fall von Herrn Johnson zu verwerfen. 


Die letzten Vorbereitungen

Die Anträge in limine und die Auswahl der Jury fanden zwischen dem 18. Juni 2018 und dem 28. Juni 2018 statt. In Limine Anträge können von beiden Seiten gestellt werden und haben meistens den Zweck, Beweise auszuklammern, die möglicherweise als eine unfaire Einflussnahme auf die Jury angesehen werden könnten.

Das eigentliche Gerichtsverfahren
Das Gerichtsverfahren vor der Jury zog sich über einen Zeitraum von etwas mehr als acht Wochen. Die Jury beriet fast drei Tage lang, bevor sie zu einem einstimmigen Urteil gegen Monsanto kam. 


Ergebnis:Die Jury sprach Johnson und seiner Familie einen Schadenersatz in Höhe von 33.000.000 US-Dollar zu, und für die arglistigen (malice) Praktiken von Monsanto einen Strafschadenersatz in Höhe von 250.000.000 US-Dollar, der den Monsanto-Konzern künftig davon abhalten soll, diese und ähnliche Praktiken fortzuführen.

Hier ist das Original-Dokument der Jury hinterlegt, und wie sie -EINSTIMMIG- auf die jeweiligen Fragen geantwortet haben, denen sie sich zu stellen hatten.



Behauptung
  "Die Entscheidung hatte nichts mit Wissenschaft zu tun."  

Die Tatsachen:

Monsanto und Bayer haben beide nach dem Gerichtsurteil unisono erklärt, dass die Jury diese einstimmige Entscheidung auf der Grundlage von "emotionalen Appellen" und nicht auf Basis der Wissenschaft getroffen hat. 

Die Leser, die sich in den Monsanto Papers schon ein wenig einen Eindruck verschafft haben, werden Mühe gehabt haben, nicht "emotional" die Faust in der Tasche zu ballen, dass gerade Monsanto das Wort Wissenschaft in diesem Zusammenhang überhaupt erwähnt.

Bei einer so hochkarätigen Jury wäre ein einstimmiges Ergebnis kaum möglich gewesen,  wenn die Wissenschaft nicht auf Seite der Kläger gewesen wäre.
 

Tatsächlich hätte das eigentliche Verfahren sogar gar nicht erst stattgefunden, denn bevor der Kläger überhaupt vor eine Jury treten durfte wurde ja vom Gericht sehr eingehend geprüft, ob die Beweislage hinreichend genug ist, um überhaupt erst einen Geschworenen-Prozess anzustrengen.

Der Fall Johnson zeigte, dass wenn eine Gruppe von unparteiischen Menschen sich die notwendige Zeit nimmt, um alle Beweise sorgfältig zu betrachten, die unvermeidliche Schlussfolgerung ist, dass Roundup Krebs verursacht.  


Darüber hinaus zeigten die Fragen, die von den Mitgliedern der Jury während der Verhandlung gestellt wurden, dass es dem Gremium ausschließlich um Fakten und Beweise ging - alle Fragen konzentrierten sich auf die komplexen sachlichen und wissenschaftlichen Fragen, die gestellt wurden, und die Mitglieder der Jury nahmen während der gesamten Verhandlung umfangreiche Notizen auf. 

Diskutiert wurden unter anderem auch Maus- und Rattenstudien, die in der Vergangenheit sehr wohl ein Krebsrisiko aufgezeigt haben.



Wie viele Experten wurden vor Gericht angehört? 

Für Herrn Johnson (8)


  • Dr. Beate Ritz (Epidemiologie)*
  • Dr. Charles Jameson (Toxikologie)*
  • Dr. Onaopemipo Ofodile (Dermatologie)
  • Dr. Christopher Portier (Toxikologie)
  • Dr. Alfred Neugut (Onkologie, Epidemiologie)
  • Dr. Chadhi Nabhan (Hämatologie, Onkologie)
  • Dr. William R. Sawyer (Toxikologie)
  • Dr. Charles Benbrook (Toxikologie, Agrarökonomie)



Für Monsanto (5)


  • Dr. Jennifer Rider (Epidemiologie)*
  • Dr. Kassim Al-Khatib (Unkrautforschung)
  • Dr. Lorelei Mucci (Epidemiologie)
  • Dr. Warren Foster (Tierärztliche Geburtshilfe und Gynäkologie)
  • Dr. Timothy Kuzel (Hämatologie, Onkologie)


* hat während des Geschworenen-Prozesses Johnson v. Monsanto Co. selbst dann nicht ausgesagt.


Alle Expertenanhörungen sind Wort für Wort in den Gerichtsprotokollen nachzulesen, natürlich auf Englisch und deshalb nicht für alle leicht zugänglich. 
Trotzdem empfiehlt sich die Lektüre für jeden, der sich ernsthaft ein eigenes Bild über die Situation zu Glyphosat verschaffen möchte.


Wie viele Seiten haben die offiziellen Dokumente zu diesem Fall bisher?

Alle Gerichtsdokumente zum Fall Johnson können direkt eingesehen werden, indem man die Website des Superior Court of California County of San Francisco öffnet, und dort die Fallnummer 

CGC-16-550128 

eingibt. Bei mir war leider die Webseite während des Schreibens dieses Berichtes nicht erreichbar, deshalb alternativ: 

Es gibt auch alle zugelassenen Beweise, Exponate, Studien, Protokolle und die Entscheidung auf dieser Seite.



Hat Monsanto/Bayer Berufung eingelegt? 

Letzte Woche reichte Monsanto/Bayer zwei Anträge ein - einen für einen neuen Prozess und einen für ein neues Urteil. 
In beiden Fällen wird beantragt, dass das Urteil aufgehoben oder reduziert werden sollte. 


Richterin Bolanos, das ist dieselbe Richterin, die auch den Johnson-Prozess geleitet hat, wird eine Entscheidung über diese Anträge erlassen. 
Ihr Urteil wird voraussichtlich im Oktober fallen.


Prozessbeobachter wollten sich mir gegenüber nicht auf eine Prognose festlegen, wie das ausgehen kann. Sie meinten, Bolanos hätte durchaus Momente gehabt, die man als "industrieaffin" bezeichnen könne. Auf der anderen Seite sind sehr, sehr viele Augen auf sie und ihre Entscheidung gerichtet. Warten wir es ab.


Wie auch immer das ausgeht, muss man der Familie Johnson wünschen, dass sie möglichst bald zur Ruhe kommt und Dewayne entweder ein weiteres Wunder erlebt, oder in Ruhe ohne grosse Schmerzen im Kreise seiner Lieben versterben darf - sobald seine Zeit gekommen ist.




Bis später.


 



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